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Maze

2018 - Übersetzung der Kollektion "Maze" aus Latex, Wolle und Spitze von Maria Encke mit Runway-Performance.

Ich bin heute morgen aufgewacht und habe es gleich gemerkt. Ja, ich bin noch hier. Ich habe es mir
schnell eingestanden, da das Gefühl seit einer Weile nun schon vertraut ist. Ich kenne mich hier gut
aus, einen Ausweg kenne ich dennoch nicht. Es ist verhext. Ich weiß es ganz genau, links, links,
rechts, dreimal geradeaus und dann wieder rechts. So sollte es klappen, es sollte... klappen. Aber es
funktioniert nicht. Seit Tagen, Wochen, ach ich weiß es nicht mehr, bin ich hier drin und finde den
verdammten Ausweg nicht. Es ist so düster hier, so trist. Kaum ein Kerzenlicht leuchtet mir den
Weg. Nach so langer Zeit des Umherirrens wirken alle Wände gleich, alle Ecken hier sind vom
selben Staub bedeckt. Raum und Zeit, beides ist verschmiert und unscharf wie der Spiegel nach der
Dusche in meinem Bad. Ich wasche mich, ich esse, ich laufe wie ein Automat, wie ein Rädchen im
Getriebe dieser toten Zeit die gerade mein Leben ist, laufe, laufe, laufe, aber nicht auf ein Ziel zu,
sondern um mich selbst, im Kreis. Ich merke spürbar, wie ich roste, wie ich bald brechen werde. So
kann es nicht ewig gehen.


Ich frage mich, wie sehr dieses Labyrinth mich bereits eingenommen hat. Ist es ein Abschnitt
meines Lebens oder bin ich das Labyrinth? Ist es wichtig, dass ich mir diese Frage stelle? Würde
mir die Antwort überhaupt weiterhelfen? Das sind die Dinge, mit denen ich mich gerade noch so
beschäftigen kann. Meine Gedanken sind wie im Dickicht eines Dschungels zerstreut und ich kriege
sie einfach nicht mehr zusammen. Alles ist wie vernebelt. Schösse man Schnappschüsse von mir,
ich sähe auf jedem einzelnen aus wie ein Goldfisch, wie irgendetwas, das einfach döst. Vor sich hin
döst. Nur mit verängstigterem Blick vielleicht.
Alles auf Reserve, alles fast leer aber stets ein bisschen Angst, ja, das trifft es.

Maria Encke - Maze 1

Die Sache ist die, ich weiß, dass es ein Labyrinth ist, das mich einkesselt. Das bedeutet, es gibt
einen Ausweg, es gibt ihn, ich muss ihn nur finden. Da bin ich mir ganz sicher, alles andere wäre
Betrug.
Was also tun, um sich aus der Verirrung zu retten? Vielleicht kennt sich hier ja jemand aus und kann
mir helfen?
Meine Freunde fehlen mir, Liebe fehlt mir, meist komme ich nach Hause und bin so geschafft vom
Funktionieren, vom durch die einengenden Korridore rennen, dass ich niemanden mehr sehen kann.
Wie narkotisiert durch die immergleichen kahlen Gänge fehlt mir der Blick für das Schöne, ich
wüsste gar nicht, was ich den Freunden, die ich noch nicht restlos vernachlässigt habe, erzählen
könnte ohne ihnen schlicht nur die Zeit zu rauben. Ich will ihnen nicht Ballast sein. Wo ist die Liebe
hin... oh, ich bin so verwirrt! Alles ist mechanisch, Liebe und Sex sind nur noch Mechanik, sie
werden ausgeführt, sie sind Bewegungen und Gesten, Abläufe ohne Herz, lebendig wie eine Blume
in einer Vase. Alles Scharfe ist stumpf und alles Sehnsüchtige Trott.


Und zugleich bin ich verletzlich, blaue Flecke und Kratzer zieren meine Haut, mein Innerstes. Ich
wünsche mich hinein in einen Schutzschild, einen Kokon, eine zweite Haut die mich beschützt.
Früher prallten Dinge an mir ab, heute sauge ich sie förmlich auf durch meine Membran der
Unsicherheit. Worte stechen mich wie Nadeln, viele kleine Stiche, unablässig, doch sie nähen nicht,
sie pieksen nur. Als würden sie die Nähte der stümperhaften Flicken auftrennen wollen, die mich
noch zusammenhalten.
Ich wünsche mir Wärme, Nähe, Weichheit, eine Mutter, zarte Worte, Licht im Dunkel. Eine
Wolldecke, die ich mit mir herumtragen kann, die den Menschen zeigt, "Pass auf, zerbrechlich, mit
besonderer Vorsicht zu behandeln". Aber wer will so etwas schon ausstrahlen. Vielleicht könnte mir
die Wolle dieser Decke den Ausweg aus dem Irrgarten zeigen. Ich befürchte nur, ich habe das Ende
des Garns längst verloren.
Stattdessen sollte ich schön sein, Muster tragen, Stolz zeigen und Glanz in den Augen. Nie
zerbrechlich sein, nur so aussehen, weil es sich ziert. Anmut und Souveränität kombinieren und es
wirken lassen, als wäre es nichts für mich, das einfachste auf der Welt. Begierde, Lust auf mehr
ausstrahlen. Ich verachte diesen Konkurrenzkampf, den wir führen. Wem hilft es am Ende, der
stärkste von allen zu sein? Es kommt ja doch wieder ein Stärkerer. Das macht rastlos, das klingt
nach mir, klingt nach Albtraum.

Maria Encke - Maze 2

Alles das geschieht hier drin, seit Tagen, Wochen, ach ich weiß es nicht mehr und es führt stets
zurück zu dieser einen Frage: Wo ist der Ausweg? Immer wieder dieses, einer Sackgasse gleich.
Fledermäuse schreien sich den Weg, schlaue Menschen rechnen ihn aus, starke Menschen zerstören
einfach alle Hindernisse, doch was zum Teufel mache ich?
Das Maze ist eine Metapher für mich selbst, vielleicht ist die Antwort auf die Frage von vorhin
doch von Relevanz. Ich muss zu mir zurückfinden; ich selbst, Selbstliebe, das ist der Ausgang. Ich
muss wieder ins Licht finden. Ich muss strahlen. Kann das sein? Es klingt plausibel und so simpel,
häufig sind es doch die einfachsten Lösungen, die die besten sind. Aber wie stelle ich das an? Ich
kann wohl kaum auf Kommando lieben, was ich bin, erst recht nicht in diesem Zustand.
So lange war es mir egal, was mit mir geschieht, anderes stand immer im Vordergrund. Darf ich
ablassen, darf ich "Nein" sagen? Darf ich mich um mich selbst kümmern? Darf ich schwach sein,
darf ich matt sein und nicht hochglanz? Und wenn ich es einfach versuche?
Das Leben ist so unberechenbar und schubst einen immer wieder in die absurdesten Situationen.
Und manchmal ist es genau das, was es braucht. Ich schmunzle und es schießt mir dieser kitschige
Satz in den Kopf: "Der Weg ist das Ziel". Selbst die wiedergekauteste Phrase kann einem im
rechten Licht die Erleuchtung bringen, nicht? Sollte das wirklich stimmen, wäre ich ja genau
richtig. Ich deute ein wenig ins Ungewisse und frage mich, ob es nicht genau das Irren ist, mein
Ziel. Wenn ich nutze, was ich erlebe, dann ergibt das viele Suchen am Ende doch noch einen Sinn.
Ich filtere und forme es, wachse daran und zeige es der Welt.

Maria Encke - Maze 3

Am Abend ist der Spiegel in meinem Bad klarer. Ich stelle mich davor, lasse ab von meiner zweiten
Haut, von der Decke, die mich wärmen soll und auch von dem, das mich schön macht, sehe mich
im Spiegel an und berühre meine Hand darin. Ich will das nicht mehr. Ich will das hier nicht mehr
brauchen, nicht mehr so sein. Ich atme tief und betrachte mich ganz pur. Es gefällt mir, was ich
sehe. Darf ich mich lieben? Ich denke, ja. Ich denke, ich tue es gerade jetzt. Ich lächle und gefalle
mir noch mehr. Das Licht der Abendsonne fällt zart auf meine Haut, erfüllt den ganzen Raum, der
Nebel hat sich lang verzogen. Es ist, als könnte ich plötzlich wieder sehen. Es fühlt sich an wie ein
Ausweg.
Raus aus dem Maze.

Text ©Padi

Bild ©Maria Encke

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